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  Etrian Odyssey Review

Vollständiges Titelbild mit Touchscreen unten

 

Ich gebe ja gerne zu, das ich mit fernöstlichen Rollenspielen recht wenig anfangen kann , ich bin dann doch der klassische, westliche Rollenspielfan, der mit Titeln wie Ultima VII, Wizardry VII oder The Bard´s Tale II aufgewachsen ist. Die asiatischen Rollenspiele (besonders die klassischen wie Final Fantasy oder Dragon Quest) konnten mich wegen ihrer starren Linearität, ihren seltsam wirkenden Anime Look und ihrer restriktiven Speichermechanik nie so ganz überzeugen, lediglich Mystic Quest und Final Fantasy Legend auf dem Gameboy gefielen mir. Als Spieler, der schon immer den Computer als die Spieleplattform, besonders für Rollenspiele, bevorzugte, war es dann auch kein Zufall, dass ich erst spät anfing, mich auch für Konsolenrollenspiele zu interessieren, allerdings vorerst nur aus Sammlerehrgeiz. Ich kaufte alle möglichen Rollenspiele für alle Videospielsysteme, probierte sie kurz aus, stellte fest, dass sie nicht meinen Geschmack trafen (Chrono Trigger für den DS bildete bis dahin  die einzige Ausnahme) und stellte sie kurze Zeit später ins Regal. So ging es weiter, bis ich eines Tages Etrian Odyssey in die Hände bekam. Anime Look, wie typisch, kein freies Speichern möglich, man kennt es ja und streng linear, was hatte ich auch erwartet. Trotzdem musste ich dem klassischen Dungeon Crawler Prinzip, was ganz klar von The Bard´s Tale bzw. Wizardry abgeguckt war, zugestehen, dass es einen regelrechten Sog auf mich ausübte. Und so verbrachte ich mehr und mehr Zeit nicht am Computer, sondern bequem im Sessel, wo ein asiatisches Rollenspiel es schaffte, das ich die JRPG Welt mit etwas anderen Augen zu sehen begann.

Besuch im Gasthaus

Das Spiel beginnt in der namensgebenden Stadt Etria, wo der Rat von Radha Abenteurer sucht, die das Labyrinth namens Yggdrasil erforschen und ihre Geheimnisse offenbaren sollen. Im Intro ist auch noch geheimnisvollerweise von einem verfluchten König in der Tiefe die Rede, der die Wahrheit kenne, dass die Menschheit ihre Allmacht verlor und das sich Mutter Erde von ihnen abgewandt hätte. Soweit die Startgeschichte, das Spiel wird durch Aufträge, die der Rat vergibt, weitererzählt, dabei wird aber nur recht wenig über das Labyrinth und seine Bewohner offenbart. Es ist damit kein storyfokussiertes Rollenspiel, seine Stärken liegen daher ganz klar im Gameplay.

Gespräche mit dem Rat der Stadt

Zu Beginn sucht man sich in Etria in der Gilde der Abenteurer (hat da jemand „Adventures` Guild“ gesagt…?) einen Gildennamen für seine Truppe aus und erstellt dann eine fünfköpfige Gruppe von Helden, welche zu Beginn aus sieben verschiedenen Klassen gebildet wird. Zur Klassenauswahl stehen Paladin, Landsknecht, Schattenritter, Fährtensucher, Barde, Medicus und Alchemist zur Verfügung, später bekommt man noch die Möglichkeit, Samurai und Drude zu erstellen, verschiedene Rassen stehen nicht zur Wahl. Die Charaktergenerierung gestaltet sich recht unkomplex, lediglich Name und Klasse stehen zur Wahl, das Geschlecht wird durch  die Auswahl eines Charakterbildes bestimmt (zwei für männliche Charaktere und zwei für weibliche). Nach der Erstellung hat man dann bei den Fähigkeiten die Qual der Wahl, für jeden Charakter stehen 21 aktive und passive Fähigkeiten zur Verfügung, die bis Stufe 10 trainiert werden können. Frischgebackene Abenteurer können zu Beginn drei Punkte verteilen, pro Erfahrungsstufe bekommt man dann allerdings nur einen Punkt dazu, daher sollte man sich genau überlegen, wie man seine Gruppe ausbildet. Die Fähigkeiten setzen teilweise vorher gewählte Fähigkeiten voraus, so kann beispielsweise der Paladin erst wenn er die passive Fähigkeit Schilde auf Stufe 10 trainiert hat, die mächtige aktiv-Fähigkeit Schildschmettern erlernen. In der Gilde der Abenteurer hat man außerdem noch die Möglichkeit, mithilfe des Rast Befehls die Fähigkeitspunkte zurückzusetzen und neu zu verteilen, allerdings verliert der Charakter dadurch 10 Levels! Attribute wie Stärke, Ausdauer, Technik, Glück und Agilität runden den Charakter ab, wobei Stärke für den Nah-und Fernwaffenschaden zuständig ist, Ausdauer die Abwehrfähigkeit stärkt, Technik die Stärke der aktiven Fähigkeiten erhöht, Glück die Wahrscheinlichkeit erhöht, nach dem Kampf Beute zu finden und Agilität die Ausweichchance und die Initiative der Helden erhöht. Die Attribute wie auch die Kraftpunkte (=Lebensenergie oder auch Trefferpunkte) und Technikpunkte (=Magiepunkte oder auch Mana) erhöhen sich automatisch beim Stufenanstieg, jedoch erfolgt die Höhe der Punktevergabe mit der gewählten Klasse. Die Menge der benötigten Erfahrungspunkte erhöht sich für jeden Stufenanstieg, ist aber für jede Klasse gleichhoch. Nach Erstellung wählt man dann noch die Position des Charakters. Nahkampfstarke Charaktere stellt man in die erste Reihe, wo sie mehr Schaden versuchen können, aber auch mehr einstecken müssen, die Fernkämpfe gehen in die zweite Reihe, wo sie dann sinngemäß weniger Schaden erleiden, aber durch ihre Fernangriffe nichts an Effektivität einbüßen. Pro Reihe dürfen nur drei Abenteurer platziert werden. Den Helden stehen insgesamt  vier Ausrüstungsplätze zur Verfügung, welche dann mit einer Waffe und drei Rüstungsteilen (Accessoires wie Ringe, Umhänge oder Amulette gelten hier ebenfalls als Rüstung, genauso wie Schilde, Handschuhe, Brustrüstung, Helme und Stiefel) versehen werden können.

 

Die Stadt Etria besteht neben der Halle zu Radha und der Gilde der Abenteurer noch aus dem Gasthaus zum krähenden Hahn, dem Basar von Aicha, der Schenke zum Hirsch und der Cerft-Apotheke.  Im Gasthaus kann man bis zum Morgen oder bis zum Abend ruhen und somit seine gesamten Kraft-und Technikpunkte regenerieren (die Kosten dafür erhöhen pro Charakterstufe) und Abspeichern, im Basar stehen neue Waffen, Rüstungen und einmal benutzbare Gegenstände wie Eisöl, damit die behandelte Waffe Eisschaden verursachen kann oder Gegenstände zum herausteleportieren aus dem Labyrinth zur Verfügung, außerdem nimmt Aicha nicht mehr benötigte Ausrüstungsgegenstände in Zahlung. Darüber hinaus kann man Aicha auch Beutestücke wie Wildleder, Zähne, Knochen usw. von gefallenen Gegnern verkaufen, aus der sie dann neue Ausrüstungsgegenstände bastelt, ein wirklich motivierendes Feature im Spiel! Allerdings wird nicht angezeigt, wie viel sie von den Beutestücken benötigt, um etwas Neues herstellen zu können. In der Schenke kann man sich neue Nebenaufgaben holen und die Cerft-Apotheke bietet neben der Wiedererweckung von gefallenen Abenteurern und der Entsteinerung auch verschiedene Heil-und Stärkungsmittel an, deren Verfügbarkeit allerdings auch wieder von den gefundenen Beutestücken wie schon bei Aicha abhängig ist. In allen Gebäuden kann man außerdem noch einen kleinen Plausch mit den Bewohnern halten, allerdings kann man kein Thema auswählen und es gibt nur die gleichen Sätze, welche sich aber durch das Voranschreiten im Spiel ändern. In der Halle zu Radha existiert noch ein Verzeichnis und einer kurzen Beschreibung über alle bisher gefundenen Beutestücke und Gegner, welche man durch den Besuch dort aktualisieren kann.

 

Begibt man sich zum Ausgang der Stadt, hat man nun die Möglichkeit, den Wald und somit das Labyrinth zu betreten oder mittels sogenannter geomagnetischer Felder direkt zu den jeweiligen Ebenen zu teleportieren. Das Labyrinth von Yggdrasil besteht aus Untergeschossen und Schichten. Pro Schicht, welches ein anderes, aber zusammenhängendes Dungeon bildet, gibt es fünf Untergeschosse, welche die einzelnen Verlieslevel bilden. Im fünften Untergeschoss jeder Schicht bewacht ein Bossgegner den Eingang zur nächsten Schicht. Erst durch den Sieg über die teilweise sehr knackigen Bosse erreicht man die nächste Schicht und somit ein neues Dungeon. Die Dungeons sind recht vielfältig gestaltet, so beginnt man im hellen, grünen Smaragdwald, arbeitet sich dann durch den heimischen Urwald in den Blauen Dschungel vor, um dann sich plötzlich in einer kargen Ödnis aus Sand und abgestorbenen Bäumen wiederzufinden. Was darauf folgt, möchte ich hier nicht verraten, nur so viel sei gesagt, dass ich regelrecht überwältigt davon war, was die fünfte Schicht zu bieten hatte….

 

Das Spiel steuert sich Rundenweise, die Helden bewegen sich im oberen Bildschirm Schrittweise und in 3D Sicht durch die Untergeschosse, klassischerweise erfolgen die Kehrtwendungen in 90° Drehungen. Im Labyrinth besteht zudem ein Tageszeitensystem, welche sich durch die Bewegung der Gruppe von morgens früh bis spät nachts verändert, die passenden Lichtverhältnisse mit eingeschlossen. Die normalen Gegner sind im Spiel nicht sichtbar, deren Auftauchen wird durch eine Kugel rechts unten im Bildschirm angezeigt. Blau bedeutet, keine bis sehr geringe Gefahr, grau heißt, Gefahr im Verzug und Rot kündigt das Erscheinen der nächsten Gegner an. Besonders starke Gegner wie die Bosse und Mini Bosse werden  im Sichtfenster  durch eine schwarze bzw. rote, pulsierende Kugel angezeigt.

 

Im unteren Bildschirm, also im Touchscreen, befindet sich eine Karte, die allerdings selber erstellt werden muss. Dazu kann man die Wände des Dungeons als Linien einzeichnen, der Boden kann je nach Geschmack selber eingezeichnet werden oder automatisch mit der Bewegung der Gruppe mit gezeichnet werden. Sonderorte wie Abbau- Sammel-oder Erntestellen (an diesen Stellen kann die Gruppen je nach Fähigkeiten mehrmals am Tag Beutestücke wie Metalle, Hölzer oder Pflanzen erhalten), Türen, Teleporter, Gruben oder Schätze können mit den jeweiligen Symbolen versehen und sogar frei beschriftet werden.

 

Kommt es zum Kampf, schaltet das Spiel in einen Kampfbildschirm um, indem im oberen Bildschirm statisch die Gegner mit Bild, Namen und Lebensbalken und im unteren Feld die Gruppe abgebildet wird, allerdings ist im unteren Bildschirm nur die Namen, die Kraftpunkt- bzw. die Technikpunktleiste nebst Zahlenwert abgebildet, unsere Helden sind nur im Menü als Figur sichtbar. Die einzelnen Charaktere können sich dann in Ruhe ihre Optionen wie Angriff, Fähigkeitsauswahl, Abwehr, Gegenstände oder Flucht für den bevorstehenden Kampf überlegen, nach Auswahl wird der Kampf dann ausgeführt. Der schnellste, das heißt, der Charakter oder Gegner mit der höchsten Agilität beginnt, danach folgen die langsameren Figuren mit ihren Aktionen. Der Gegner agiert dabei recht wahllos und greift nicht unbedingt die schwächsten Gruppenmitglieder an. Neben den verschieden Angriffen und Schadensarten gibt es außerdem noch eine große Auswahl an Statusschäden: So kann ein zuvor geblendeter Gegner die Gruppe nicht mehr so gut treffen und ein am Kopf gefesseltes Gruppenmitglied kann keine Zaubersprüche mehr ausführen. Besondere Statusleiden wie Tod und Versteinerung halten auch nach dem Kampf noch an, alle anderen Effekte enden mit dem Kampfausgang. Nach dem Sieg der Abenteurer erhalten sie alle den gleichen Anteil an Erfahrungspunkten, außerdem besteht die Chance auf Beutestücke, Geld oder Ausrüstungsgegenstände lassen die Feinde nicht zurück, die Truppe finanziert sich allein über die Beutestücke.

Aicha bastelt uns was tolles

Etrian Odyssey bietet die gewohnt, bunte Mangawelt mit ihren typisch jugendlich bis kindlichen Charakteren und den skurrilen, farbenfrohen Gegnerschaften. Animierte Charaktere und Gegner gibt es hier nicht zusehen, überhaupt bewegt sich außer der Party Garnichts auf den Bildschirmen. Die Musik und die Soundeffekte sind mit ihren 8 bzw. 16 Bit Synthesizer Klängen klar eine Hommage an alte Zeiten, die genialen, 8 Bit Kampfgeräusche sind für mich hier der Höhepunkt in der Klangwelt. Das kratzige Pfeifen des Schwertes durch die Luft, das brutzelnde Geräusch des Feuerzaubers und das knarzige  POW! des Explosionsgeräusches wenn ein Gegner stirbt sind einfach wundervoll anzuhören.

Kampf im blauen Dschungel

Mein Fazit:

Etrian Odyssey ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Verknüpfung von klassischen, westlich geprägten Rollenspielelementen und japanischer Spielkultur. Durch das schrittweise Erkunden des Labyrinthes, dem recht umfangreichen Charaktersystem und dem motivierenden Auffinden von Beutestücken zum Herstellen von Ausrüstungsgegenständen ergibt sich für mich unterm Strich ein schweres, aber auch sehr unterhaltsames Rollenspiel fernöstlicher Prägung. Neulingen im Rollenspielbereich, die einsteigerfreundliche Rollenspiele mit automatischer Regeneration von Trefferpunkten und Manareserven sowie einer Automap mit Radar und Wegfindung gespielt und kennengelernt haben, sollten eher einen Bogen um Etrian Odyssey machen (oder zugreifen, wenn sie mal ein „richtiges“ Rollenspiel spielen möchten ;) ). Veteranen aus der guten alten Zeit, die nicht unbedingt Allergisch auf Anime und Manga Kunst reagieren, sollten schnellstens zugreifen. Mich hat Etrian Odyssey selbst mit meinen Vorurteilen zu asiatischen Rollenspielen doch sehr begeistert. Mittlerweile hat meine Truppe schon über 60 Stunden im Labyrinth verbracht und das 25. Untergeschoss erreicht, ich kann es kaum erwarten, mit den Nachfolgern nochmals ins Ungewisse vorstoßen zu können.

Das Ödland wird kartographiert
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© Mathias Haaf